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Auge um Auge - 2000 Jahre christlicher Antijudaismus

Burkhard Schröder   14.07.2002
Erstveröffentlichung unter
http://www.heise.de

Es wundert, dass keine Website die zahllosen Pogrome dokumentiert, die ihren Ursprung in christlichen Schauer-Phantasien hatten

Antisemitismus in Deutschland fußt auf der Tradition des christlichen Antijudaismus und ist ohne ihn nicht zu erklären. Das jahrhundertealte negative Bild des Juden ist immer noch präsent: auf Homepages, die über Touristenattraktionen informieren, an den Rändern der Kirchen und in der Volksfrömmigkeit und in Floskeln des alltäglichen Sprachgebrauchs der Politiker. Der Antisemitismus ist kein Vorurteil, schreibt [External Link] Alan Davies, sondern ein "komplizierter negativer Mythos, der sich über lange Zeit hin in der Geschichte des Westens entwickelt hat." Mit dem christlichen Antijudaismus beschäftigt sich, wenn überhaupt, nur die theologische Fachdiskussion; auf den vielen Websites "gegen rechts" taucht er als Thema nicht auf.

Juden als "verworfenes Volk"

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Bilder: Fotoausstellung bei SchalomNet

Der Begriff des Antisemitismus stammt von [External Link] Wilhelm Marr. In seiner Hetzschrift [External Link] Der Sieg des Judentums über das Germanentum (1879) griff er alle negativen Klischees auf, die den christlichen Diskurs seit dem Mittelalter geprägt haben: Die Juden seien rachsüchtige Gottesmörder und an der Pest schuld, sie begingen Ritualmorde und Hostienschändung.

Der katholische [External Link] Antisemitismus konnte sich auf die Bibel und die Schriften der Kirchenväter berufen: Die Juden hätten Christus nicht als [External Link] Messias anerkannt und seien deshalb "verstockt". Noch bis 1965 gehörte das [External Link] Bittgebet "Oremus et pro perfidis Judaeis" - "lasset uns auch für die treulosen, unredlichen, ungläubigen Juden beten" - zur Karfreitagsliturgie der katholischen Kirche. Erst Papst [External Link] Johannes XXIII ließ diesen Satz streichen.

Unter dem Tarnmantel [External Link] messianische Juden versuchen jedoch christliche [External Link] Fundamentalisten heute noch, Juden zu bekehren. Ultrakonservative [External Link] Katholiken fordern gar, die Juden sollten sich von ihrem Glauben lossagen.

Ritualmord und Hostienschändung

Zahlreiche Volkslieder, Kompositionen, [External Link] Kunst und Kirchenbauten dokumentieren die antijüdischen Mythen, die Juden würden christliche Kinder töten, um deren Blut für rituelle Zwecke zu verwenden und den Vorwurf der [External Link] Hostienschändung. Es wundert, dass keine Website die zahllosen Pogrome zusammenfasst und dokumentiert, die ihren Ursprung in diesen christlichen Schauer-Phantasien hatten. Eine heutige Touristenattraktion Brandenburgs, das Kloster [External Link] Heiligengrabe in der Prignitz, verdankt seine Gründung [External Link] 1287 dem Mord an einem Juden, der angeblich eine Hostie gestohlen hatte.

Die Wallfahrt Zur [External Link] Deggendorfer Gnad in Bayern zur Erinnerung an einen angeblichen Hostienfrevel der Juden im 14. Jahrhundert wurde gegen den Widerstand der einheimischen Bevölkerung erst 1992 [External Link] eingestellt. Die [External Link] Ritualmordlegende im österreichischen Rinn bei [External Link] Innsbruck wurde bis 1998 mit Prozessionen gefeiert, bei denen bis zu 30000 Katholiken erschienen. Die Backsteinkirche im mecklenburgischen Sternberg, heute eine [External Link] Touristenattraktion, enthält eine spätgotische Schnitzerei mit Darstellung der Judenverbrennung aus dem Jahre 1492. Auch die Kirche im fränkischen [External Link] Iphofen steht in dieser unseligen Tradition.

Pogrome vor dem Hintergrund christlicher [External Link] Theologie wegen angeblicher Morde und Hostienfrevels durch Juden ziehen sich wie ein roter Faden durch die deutsche und österreichische Geschichte. Sie sind belegt in Regensburg, Nürnberg, [External Link] Münster, [External Link] Würzburg, in [External Link] München, [External Link] Ellwangen, [External Link] Manau in Unterfranken, [External Link] Oberweichsel bei Bacharach, Hersfeld bei [External Link] Kassel, [External Link] Röttingen an der Tauber, [External Link] Nürnberg, [External Link] Fulda, [External Link] Naumburg, [External Link] Wolfsberg in Kärnten.

Der [External Link] Judenplatz in Wien erinnert noch heute an eine versuchte Zwangstaufe und den Massenselbstmord der Juden im 15. Jahrhundert und an das damalige Ghetto [External Link] Unterer Wird. In [External Link] Baden und am [External Link] Oberrhein, in [External Link] Freiburg, in [External Link] Wildeshausen und in [External Link] Straßburg wurden die Juden für die Pest verantwortlich gemacht und umgebracht - wie auch in [External Link] Köln, [External Link] Dresden, [External Link] Durlach, [External Link] Frankfurt/Main, [External Link] Worms, [External Link] Speyer und [External Link] Erfurt. Auf das Märchen, die Juden seien an der Pest im Mittelalter schuld, berufen sich noch heutige [External Link] Nazis.

Doitsche Dichter und Denker

Johann Wolfgang von Goethe bezeichnete das Volkslied [External Link] Die Juden von Passau als "bänkelsängerisch, aber lobenswerth"; im Gedicht, überliefert in "Des Knaben Wunderhorn" (1805) von Arnim und Brentano, schänden die Juden christliche Hostien und werden anschließend vor ein Gericht gestellt. Offener Judenhass und Verschwörungstheorien waren in Deutschland schon im 17. Jahrhundert gut für die Karriere: [External Link] Johann Andreas Eisenmenger schrieb ein Buch: "Entdecktes Judenthum Oder Gründlicher und Wahrhaffter Bericht, welchergestalt die verstockten Juden die Hochheilige Drey-Einigkeit lästern und verunehren." Kurfürst Johann Wilhelm (1690-1716) ernannte ihn dafür zum Professor für Hebräische Sprache. Das Machwerk erlebte noch 1893 eine Neuauflage.

Nicht nur Volkslieder, sondern auch klassische Kompositionen dokumentieren, wie stark die christliche Lehre den Antisemitismus vorbereitet hat: Die [External Link] Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, 1727 komponiert und eines der wichtigsten Stücke protestantischer Kirchenmusik, benennt die Juden als Gottesmörder. Der [External Link] Blutruf aus dem Matthäus-Evangelium - in dem die Juden sich selbst verwünschen, weil sie Jesus ans Kreuz geschlagen haben - war 400 Jahre Bestandteil der Oberammergauer Festspiele und wurde erst 1984 nach einer Intervention des Münchener Bischofs gestrichen (www.freitag.de/2000/24/00241301.htm).

An der Stadtkirche der Martin Luther-Stadt Wittenberg gibt es ein Relief, die so genannte [External Link] "Judensau", das die Juden mit dem für sie unreinen Tier in Verbindung bringt. Ohnehin kämen Martin Luthers Schriften heute auf den Index und würden als volksverhetzend strafrechtlich verfolgt. Luther formulierte 1543 in "Von den Juden und ihren Lügen":

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...Daß man ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, daß kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich ... Daß man ihnen verbiete, bei uns öffentlich Gott zu loben, zu danken, zu beten, zu lehren, bei Verlust Leibes und Lebens.

Diese und andere Zitate christlicher Theologen lassen Christoph Münz polemisieren, der Antisemitismus sei [External Link] aus dem Geist des Christentums geboren worden. Die heutigen christlichen Theologen distanzieren sich verschämt von ihren antijüdischen Vordenkern und ebensolchen "heiligen" Büchern. Christlicher Antijudasimus als Fundament der deutschen Alltagskultur, die mit dem Holocaust endete, ist offenbar eine peinliche Angelegenheit. Kritiker werden den Kirchen vor, sie betrieben [External Link] Ent-Schuldigung statt sich zu ihrer Schuld zu bekennen. Auch das am 16. März 1998 veröffentlichte Dokument "Wir erinnern. Eine Reflexion über die Shoah" der Vatikanischen "Kommission für die religiösen Beziehungen mit den Juden" werde dem Thema nicht [External Link] gerecht.

Auge um Auge

Die Idee, das Judentum sei eine Religion starrer Gesetze und predige Rache, ist Unfug, aber im öffentlichen Diskurs trotzdem präsent - vor allem in der sprichwörtlichen Redewendung des alttestamentarischen [External Link] Auge um Auge. Eine Dokumentation des WDR über Israels geheime Kommandoeinheiten trägt diesen [External Link] Titel. [External Link] Oskar Lafontaine interpretiert Israels Politik in diesem Sinne, und vielen deutschen [External Link] Zeitungen fällt auch zum Thema Nahost-Konflikt nur das alte [External Link] Testament ein. "Auge um Auge" heißt nur, dass das Prinzip des Schadensersatzes die Blutrache [External Link] verdrängen soll.

Das hartnäckige Vorurteil scheint aber resistent gegen Argumente, wie die Websites der [External Link] Anthroposphen, die eingefleischter [External Link] Verschwörungstheoretiker oder der katholische Ordenspriester [External Link] Manfred Adler zeigen. Dass die geistig armen katholischen [External Link] Mystiker das nicht verstehen, sollte aber niemanden wundern.

Antisemitismus auf der Basis des christlichen Antijudaismus ist Teil der deutschen Leitkultur, hier treffen sich Christen und Atheisten, [External Link] Linke und Rechte. Und dass auf der schönen Seite [External Link] Netz gegen Rechts das Thema Antijudaismus überhaupt nicht erwähnt wird, spricht für das Fazit, wie deutsche Medien mit Antisemitismus umgehen: Viel geschrieben und nichts begriffen.

Antijudaistische Hetze:
Innsbrucker Synagoge besudelt

Die Parolen greifen die jüdische Religion als solche an, "es liegt kein Hinweis vor, dass der Täterkreis aus dem arabisch - israelischen Konflikt kommt."

hagalil.com 04-08-02

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Die Offensive der Missionare

 


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