Die altbewährte Mär vom "Gottesmord":
Hostienfrevel
Aus einem
Vortrag von Univ.- Prof. Dr. Gerhard Langer (Univ. Salzburg) zum
Wiener Judenplatz, gehalten 1998 in Wien
Obwohl auch in Erzählungen über
Hostienfrevel die Juden nicht allein vertreten waren, so waren es
dennoch vor allem die Juden, die als "Gottesmörder" in ihrer
altbewährten Rolle weiterwirkten.
Es waren geradezu standardisierte Erzählungen, die in den gängigen
Exemplar- und Geschichtsbüchern reichlich vertreten waren, die jederzeit
hervorgeholt, an lokale Bedingungen angepasst, beliebig wiederholt
werden konnten.
Bezeichnenderweise wird in diesen Erzählungen meist eine Kollektivschuld
der Juden vorausgesetzt: Hostienfrevel waren nicht das Werk von
Einzelnen, sondern von ganzen Judengemeinden, bzw. sogar von
weitreichenden Organisationen. Die Strafen sollten daher, ähnlich wie
bei den Ritualmorden, nicht bloß einzelne Schuldige, sondern die
Gesamtheit der »Gottesmörder« treffen.
Durch die Schmähung und Verunglimpfung Gottes erhielt das »Verbrechen
der Hostienschänder eine mythische Dimension, die geradezu zur
psychologischen Analyse reizt; vor allem aber bedrohten diese Taten das
Leben aller Mitmenschen, denn ein so ungeheuerliches Sakrileg drohte ein
göttliches Strafgericht heraufzubeschwören, das alle treffen würde.“
(288f.)
Desecration of the Host Libels
(http://www.routledge.com)
Im Jahre 1338 werden die Juden im niederösterreichischen Pulkau
beschuldigt, eine Hostie geschändet zu haben. Die von dort ausgehende
Verfolgung erreichte fast ganz Niederösterreich. In Krems wurden die
Häuser der jüdischen Gemeinde in Brand gesteckt. Die Juden verbrannten
bei lebendigem Leib. Diese Ausschreitungen führten zum massiven
Eingreifen des Herzogs, der seine Juden schützte, wohl nicht aus Liebe,
sondern aus Angst um sein Geld. Albrecht II. sticht dennoch auf jeden
Fall als judenfreundlich aus dem Kreis seiner Vor- und Nachfahren
heraus. Die Rädelsführer der Aufstände ließ er hinrichten, die Städte
hohe Bußzahlungen leisten. Das änderte nichts daran, dass die unselige
Mischung als religiösem Fanatismus, Volksglauben und problematischer
Theologie selbst die Exzesse gegenüber Juden auch in den nächsten
Jahrzehnten nicht aufhören ließen.
Zur Geschichte der Hostienfrevelbeschuldigung:
Die Deggendorfer Gnad
„Von den «Hostienfreveln», die in den folgenden
Jahrzehnten «entdeckt» wurden, hat man die ganz überwiegende Mehrzahl
Juden angelastet. Schon 1298 kam es in den deutschen Orten Röttingen,
Iphofen, Lauda, Weikersheim, Möckmühl sowie in Mürzburg zu solchen
Beschuldigungen, die den Anlass doch zumindest den Vorwand für blutige
Massaker an zahlreichen jüdischen Gemeinden im weiteren Umkreis gaben -
und in Lauda und Iphofen erinnern heute noch Wallfahrtskirchen mit
entsprechenden bildlichen Darstellungen an diese vorgeblichen
Freveltaten der Juden. Auch die noch sehr viel weiträumigeren Massaker
der 1336-1338, als das vor allem aus Bauern bestehende Heer des «König
Armleder» die jüdischen Gemeinden hauptsächlich in Franken und Elsaß
heimsuchte, aber auch in Hessen, an der Mosel, in Böhmen und
Niederösterreich Judenverfolgungen zu verzeichnen waren, standen im
Zusammenhang mit Hostienfrevel-Beschuldigungen.
Einige Beispiele in Mitteleuropa (http://www.routledge.com)
Jahreszahl = Jahrhundert
Im Oktober 1338 wurde das niederbayerische Deggendorf zum Ausgangspunkt
einer weiteren Welle blutiger Judenverfolgungen. Von einem
«Hostienfrevel» war hier offenbar zunächst nicht die Rede; vielmehr
scheint diese Legende erst nachträglich zur Rechtfertigung des Massakers
an den Deggendorfer Juden herangezogen worden zu sein. Dennoch wurde die
1360 geweihte Grabkirche zum Ziel einer wichtigen und bis heute
bestehenden Wallfahrt, der weit über Niederbayern hinaus berühmten
«Deggendorfer Gnad».
Der Zusammenhang mit dem Gottesmord-Vorwurf erscheint in diesem
bekanntesten deutschen Fall einer Hostienfrevel-Beschuldigung besonders
deutlich greifbar. «Do bart Gotes Laichenam funden», schildert kurz und
bündig die Bauinschrift der Grabeskirche den Fund der von den Juden
gemarterten Hostien in einem Brunnen.
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Bilder aus dem 14-teiligen Gemäldezyklus zur angeblichen
Hostienschändung in Deggendorf (nachträgliche Legende zu Rechtfertigung
des Pogroms)
Zyklus zu sehen bis in die 60er-Jahre 20. Jh. in der Deggendorfer
Hl-Grab-Kirche bfg-muenchen.de
In anderer Weise erscheint dieser Zusammenhang auf den Tafelbildern des
Nerio Miller von 1725, die das grausige Geschehen bis vor wenigen Jahren
in der Kirche veranschaulichten und auf denen unter anderem zu sehen
war: «Die heiligen Hostien werden von den Juden bis auf das heilige Blut
mit Dornen gekratzt und es erscheint unter solcher Marter ein kleines
Kind.»
Dem Gläubigen konnte nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei diesem Kind
um den Jesusknaben handelte, wie ihm auch in einem Andachtsbüchlein der
Zeit um 1910 folgendes Gebet in der Grabkirche anempfohlen wurde:
«O mildreichster Jesus! der du dich gewürdiget hast, denen jüdischen
Feinden als ein liebreiches Kindlein zu erscheinen, da du doch
vorgesehen, dass sie dich nicht erkennen, sondern lästern und in den
Abgrund eines Brunnens werfen werden; würdige dich auch, über mich
Sünder (Sünderin) durch dieses wunderbare Sakrament dein Gnadenlicht
scheinen zu lassen.»
Bilder
zur Hostienwahlfahrt "Deggendorfer Gnad"
bfg-muenchen.de
Auch in Bühnenspielen kam der «Hostienfrevel» zur Aufführung, so 1800 in
Regen im bayerischen Wald, wo unter anderem der Satan als Deggendorfer
Jude in Erscheinung trat; und auch in dieser derben Burleske wird
deutlich, dass die Juden in der Hostie Jesus selbst martern:
«Moses: wir wollen nemmen spitzige Schuehahlen, und wollen stechen den
Messias, damit Er verliert den Kitzl.
Satan: Ach! mit Dörnern wolln wir ihn kratzen, daß ihm vergeht die Frad.
David: Jo, jo, so wolln wir machen, daweil fallt mir auch ein gedancka,
daß wir haben unsern längern spas, wir wollen gehn, und bitten unsere
Nachbarn zu uns, sie sollen begucken den großen Messias, der erlöst hat
die gantze Welt.»
Durch illustrierte Gnadenbüchlein und dergleichen wurde die Geschichte
von dem Deggendorfer «Hostienfrevel» bis in die jüngste Vergangenheit
propagiert. In dem letzten derartigen, 1960 erschienenen Traktat aus der
Feder eines Benediktinerpaters heißt es nach einer ausführlichen
Würdigung der über die Jahrhunderte hinweg bewährten Frömmigkeit
Deggendorfer Bürger und Wallfahrer: «Betrachtet man die vorgeführten
Tatsachen, und wie ununterbrochen Groß und Klein, Hoch und Nieder,
Geistlich und Weltlich aus der Nähe und Ferne dem in der Grabkirche
aufbewahrten hl. Fronleichnam so mannigfach ihre Anbetung und Verehrung
zollten, so ist der Wahnwitz derjenigen nicht leicht zu begreifen,
welche in neuerer Zeit das hl. Mirakel als Unsinn und Schwindel
verhöhnen, und die Andacht und Wallfahrt zu ihm als Verherrlichung des
Judenmordes ausschreien.»“
(Rohrbacher/Schmidt 292-295).
Was 1960 noch vehement verteidigt wird, und was 1998 in einem Flugblatt
noch deutlich spürbar bleibt, ist für die Juden des Mittelalters
schlimmste Bedrohung an Leib und Leben.
Der einfache Christ dachte: Diese Juden, die Gott getötet haben und sich
beharrlich weigern, die Taufe zu nehmen, sie verfolgen und töten
Christus aufs Neue in jeder geweihten Hostie, die ihnen in die Finger
kommt.
"Wo
der Jude das Heilige Sakrament unter dem Galgen vergrub" (Abb. in der
Blutskapelle Heiligengrab, Mark Brandenburg 1285)
bfg-muenchen.de
Noch ein Beispiel:
Wien 1424
Auch in Wien bediente man sich der
beliebten Anklage. Ende März 1421 lebten nur mehr 300 Juden in Wien. Aus
ihnen konnte man kein Geld mehr herauspressen. Sie waren nun ganz und
gar der Willkür des Herzogs ausgesetzt. Waren die Taufe, die Plünderung
und die Erpressung bislang Mittel gewesen, mit denen man das Judentum
konfrontierte, und waren durch Massenselbstmord endgültig wichtige
Geldgeber und Steuerzahler dem Herzog entglitten, wollte man den Rest,
mittellos geworden, mittels einer tiefgreifenden und allseits
verständlich Beschuldigung loszuwerden trachten.
Sie fand man – wen wundert´s jetzt noch – im Vorwurf der
Hostienschändung. Eine Mesnerin von Enns hätte, so heißt es, eine Hostie
entwendet und den Juden übergeben, welche sie gemartert und geschändet
hätten. Am 12. März 1421 entschied der Herzog schließlich, sie auf dem
Scheiterhaufen zu verbrennen. Und so brannten 210 Juden auf einer Wiese
bei Erdberg. Die Wiener Geserah schreibt dazu: „Wie nun die Juden zum
Brandhaus geführt wurden, hoben sie an zu tanzen und zu springen, als ob
es um eine Hochzeit ginge. Unter lauten Zurufen und Trostworten
zueinander baten sie sich gegenseitig um Vergebung und erhofften sich
ein glückliches Jenseits.“ In der Aschen suchten christliche Studenten
nach Gold und Silber. Für die Juden war Österreich fortan zum „Blutland“
geworden und als solches in die Literatur eingegangen. Der als Märtyrer
gestorbene Rabbi Isserlein meinte zurecht über die Menschen, die diese
Schauspiel beiwohnten und es guthießen: „Sie haben ein Ekel vor uns und
wir sind wie Dornen in ihren Augen“...
haGalil onLine - 01-07-2001 |