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Judenfeindschaft und Verfolgung:
Niederösterreich 13. - 14. Jh.

Vorwürfe wegen angeblicher Ritualmorde bzw. Hostienschändungen

Von Eveline BRUGGER und Birgit WIEDL

Nach den Verfolgungen der Kreuzzugsepoche, stellt sich das 13. und frühe 14. Jahrhundert in den Quellen als eine Zeit des besseren Zusammenlebens von Christen und Juden in Niederösterreich dar.

Kirchliche Restriktionen wurden kaum eingehalten, Juden lebten nicht von Christen getrennt und interagierten auf allen sozialen Ebenen mit ihnen.

Vorwürfe wegen angeblicher Ritualmorde bzw. Hostienschändungen

Allerdings tauchen am Ende des 13. Jahrhunderts die ersten Vorwürfe wegen angeblicher Ritualmorde bzw. Hostienschändungen auf: 1293 sollen Kremser Juden einen Christen für rituelle Zwecke ermordet haben, 1294 wurde den Juden in Laa eine Hostienschändung vorgeworfen. Der österreichische Herzog handhabte den Judenschutz jedoch energisch, sodass die - in Klosterannalen überlieferten - Vorwürfe zu keinen Verfolgungen führten.

Weitere Kreise zog eine angebliche Hostienschändung in Korneuburg 1305, wegen der zehn Korneuburger Juden von den Bürgern verbrannt wurden. Da die Hostie später angeblich Wunder wirkte, zog der Vorfall eine umfassende kirchliche Untersuchung nach sich; letztendlich stellte sich heraus, dass ein Priester den Juden eine in Blut getauchte Hostie unterschoben hatte.
Im Jahr darauf führte eine angebliche Hostienschändung in St. Pölten zu einer Judenverfolgung, die von Herzog Rudolf III. jedoch mit großer Strenge bestraft wurde – nicht zuletzt deswegen, weil dieser Anlass eine willkommene Gelegenheit darstellte, herzogliche Herrschaftsansprüche in der passauischen Stadt durchzusetzen.

All diese Verfolgungen scheinen jedoch sehr kurze und lokal begrenzte Ausbrüche von Gewalt gegen Juden gewesen zu sein – insgesamt präsentiert sich die jüdische Existenz in Niederösterreich in dieser Zeit als nicht gefährdet.

Die Tragödie von Pulkau (Bez. Hollabrunn)

Das änderte sich mit der 1338 von Pulkau ausgehenden Verfolgungswelle. Den Pulkauer Juden wurde zu Ostern 1338 eine Hostienschändung vorgeworfen; die Hostie, die angeblich vor dem Haus eines Juden gefunden wurde, soll pflichtgemäß geblutet und Wunder gewirkt haben. Daraufhin wurde die jüdische Bevölkerung Pulkaus ermordet, was wiederum eine regelrechte Welle von Judenverfolgungen auslöste, der nicht nur in Niederösterreich, sondern auch im angrenzenden Böhmen und Mähren zahlreiche Juden zum Opfer fielen (neben Pulkau erwähnen die Quellen jüdische Opfer in Eggenburg, Retz, Horn, Zwettl, Raabs, Feldsberg, Falkenstein, Hadersdorf am Kamp, Gars, Rastenfeld, Mistelbach, Weiten, Emmersdorf, Tulln, Klosterneuburg, Langenlois, St. Pölten, Laa und Drosendorf; in Mähren werden Znaim, Erdberg, Jamnitz, Fratting, Trebitsch und Mährisch Budweis genannt, in Böhmen Neuhaus).

Unter dem Eindruck der größten Judenverfolgung, die es bis dahin in Österreich gegeben hatte, wandte sich Herzog Albrecht II. an den Papst. Benedikt XII. beauftragte den Bischof von Passau mit der Untersuchung der Vorfälle, da es in Anschluss an die angeblichen Hostienschändungen ohne Gerichtsspruch zu Judenverfolgungen und zu Plünderungen jüdischen Besitzes gekommen war. Der Bischof von Passau solle die Juden, falls die Vorwürfe berechtigt seien, bestrafen; würden sie aber für unschuldig befunden, sollten die Anstifter der Verfolgungen mit aller Strenge zur Verantwortung gezogen werden.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Pulkauer Verfolgungswelle im mitteleuropäischen Kontext kein isoliertes Ereignis darstellte: in den unmittelbar vorhergehenden Jahren war es im Reich zu den sogenannten Armleder-Verfolgungen gekommen, die 1336 als soziale Erhebung von Bauern und Stadtbewohnern unter der Führung eines verarmten Ritters begannen und bis 1338 in einer Welle von Mord und Plünderung vor allem die süddeutschen Judengemeinden schwer in Mitleidenschaft zogen. Im Herbst 1338 kam es nach einer angeblichen Hostienschändung im bayrischen Deggendorf zu einer Verfolgung; ebenso in der Steiermark und in Kärnten. Interessant ist, dass manche zeitgenössische Quellen sowohl als Begründung der Armleder-Verfolgungen als auch als Ursache der Pulkauer Verfolgung die Bereicherung vieler Adeliger und Bürger durch die Vernichtung ihrer Schuldscheine nannten, also wirtschaftliche Motive anstelle der von den Beteiligten behaupteten religiösen Gründe im Vordergrund sahen. Die Wiener Bürger nützten die Gelegenheit auf andere Weise: sie erreichten eine Senkung des bis dahin üblichen Verzugszinssatzes von 8 auf 3 Pfennig pro Pfund und Woche als "Preis" für den Schutz der Wiener Juden vor der Verfolgung; die österreichischen Herzöge Albrecht II. und Otto mussten zustimmen.

Dieser "Zinsrevers" mag ebenso wie die herzoglichen Versuche, die Juden zu schützen, dazu beigetragen haben, dass die größten Judengemeinden, Wien, Wiener Neustadt und Krems, die Pulkauer Verfolgungswelle überstanden, während zahlreiche kleine jüdische Gemeinwesen nach 1338 aus den Quellen verschwinden und die jüdische Siedlung sich in der Folge auf die Umgebung der großen Gemeinden konzentrierte, wo man im Notfall besser geschützt war.

Unmittelbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit der niederösterreichischen Juden sind in den Jahren nach 1338 nicht festzustellen; soweit es sich aus den erhaltenen Quellen erkennen lässt, gingen die Geschäfte ohne merkliche Unterbrechung weiter. Dasselbe galt auch für die Zeit nach den Pestjahren 1348-1351, in denen die österreichische Judenschaft mit Ausnahme eines Pogroms in Krems 1349 durchwegs unbehelligt blieb, während fast im gesamten übrigen Reich Judenverfolgungen von bis dahin ungekannten Ausmaßen hunderte jüdische Gemeinden schwerstens in Mitleidenschaft zogen. Die Höhe der Darlehen, die niederösterreichische Adelige bei Juden aufnahmen, begann in der zweiten Jahrhunderthälfte sogar zu steigen, um erst gegen Ende des Jahrhunderts wieder abzusinken.

Allerdings zeigte sich in den Jahren nach 1338 eine zunehmende Verschlechterung des Klimas für die jüdische Bevölkerung. Ein langsamer Abstieg der Rechtssicherheit im jüdischen Geschäftsleben setzte um die Mitte des Jahrhunderts ein und verstärkte sich in den folgenden Jahrzehnten immer mehr; der zunehmende Einsatz der bereits erwähnten herrscherlichen Tötbriefe ist ein deutliches Indiz für diese Entwicklung, die immer häufiger auch wegen der Flucht eines Juden aus dem Herrschaftsbereich des österreichischen Herzogs ausgestellt wurden.

Besonders deutlich zeigt sich die Rücknahme des herrscherlichen Judenschutzes an der in den 1370er Jahren mehrmals durchgeführten Praxis, die reichsten Juden in den herzoglichen Städten gefangen zu nehmen und Lösegelder von ihnen zu erpressen.

Auf dem Kapitalmarkt gerieten die Juden außerdem unter den Druck einer zunehmenden christlichen Konkurrenz; vor allem der Umfang der von Bürgern vergebenen Kredite stieg an, sodass die Bedeutung der Juden als Geldgeber zurückging.
Auch das theologische Umfeld änderte sich nach dem Beginn des Schismas 1378 zum Nachteil der Juden; im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Hussiten wurde den Juden immer wieder vorgeworfen, mit den Hussiten zu kollaborieren.

Vor diesem Hintergrund kam es 1420/21 zu den Ereignissen der sogenannten Wiener Geserah. Herzog Albrecht V. ließ die österreichischen Juden gefangennehmen; es kam zu Vertreibungen aus Wien und zahlreichen Orten in Niederösterreich, Zwangstaufen, Folterungen, Beraubungen und zuletzt zur Verbrennung der etwa 200 überlebenden Wiener Juden auf der Erdberger Gänseweide. Als Begründung für die Verfolgung schob der Herzog eine angebliche Hostienschändung vor; Albrechts eigentliche Motive sind bis heute unklar.

Das Jahr 1421 bedeutete das Ende der mittelalterlichen jüdischen Ansiedlung in Wien und Niederösterreich; die einzige noch existierende Gemeinde auf heute niederösterreichischem Gebiet war die von Wiener Neustadt, die bis zur Vertreibung der Juden aus der Steiermark am Ende des 15. Jahrhunderts bestand.

Aus >> Zwischen Privilegierung und Verfolgung:
Jüdisches Leben im Mittelalter in Niederösterreich
Von Eveline BRUGGER und Birgit WIEDL

[ZUR DISKUSSION]

Siehe auch:

Spagat oder Eiertanz:

Wallfahrt nach Heiligenblut
Nach vielen Jahren nimmt das Bistum Eichstätt eine antijudaistische Wallfahrt wieder auf und distanziert sich zugleich von ihr...

Die Grabkirche in Deggendorf:
Massenwallfahrt brachte der Stadt eine gute Einnahmequelle

In den etwa 400 m langen Deggendorfer Stadtplatz ragt die Grabkirche. Die Synagoge stand genau dort, wo die Grabkirche in den Stadtplatz hineinragt...

hagalil.com 10-02-05


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