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Judentum in Abwehr:
Das entstehende Christentum

Von Rabbiner Leo Baeck

Erschienen im fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren des Judentums nach den Quellen" (s. III.Bd der 1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe  des Verbandes der Deutschen Juden v. 1928/30)

Die älteste christliche Gemeinde, d. h. die Gemeinde derer, die durch den Glauben verbunden waren, dass in Jesus der Messias erschienen sei, stand in ihren Personen wie als Gemeinschaft durchaus im Bezirke des Judentums. Sie gehört in den jüdischen Gesamtbereich ganz so hinein, wie andere Gruppen, welche dieser damals umschloss, wie etwa die Essener auf der einen und die Zdukim (Sadduzaer) auf der anderen Seite. Die Gedanken und die Hoffnungen, die sie hegt, sind durchaus jüdische; sie will nur das jüdische Leben haben, und sie hat auch nur den jüdischen Horizont.

Was sie kennzeichnet, ist, dass sie, zumal in ihren ersten Jahren, von einer starken eschatologischen Stimmung bewegt ist, von dieser Erwartung der nahenden Endzeit und ihres Gerichtes, dass sie darin einen Gehalt ihres Glaubens und eine Kraft ihres Lebens besitzt. Sie ist von dem schwärmerischen, stets bereiten Enthusiasmus erfüllt, und ihre ethischen Forderungen sind demgemäß auch auf das baldige Kommen des Letzten eingestellt; sie will die Gemeinde der Gerechten des Weltendes sein. Aber alles das ist damals, ganz so wie nicht selten früher und später, innerhalb des Judentums ein eigentümliches Element gewesen.

Wenn weiterhin diese Gemeinde in Jesus gläubig den Messias, den Christos des jüdischen Volkes und in dem, der ihm vorangegangen war, in Johannes, dem Täufer, den neuen Elia erblickte und Sätze der Bibel auf das alles hindeutete, wenn sie dann, nachdem Jesus den Tod am Kreuze erlitten hatte, an seine Wiederauferstehung und seine Wiederkehr zum Tage des Gerichtes glaubte und dieser seiner Wiederkunft harrte, so war auch ein solches Hoffen in seinem Grunde und seinem Ziele durchaus ein jüdisches Hoffen jener und auch manch anderer Zeit. Eine Besonderheit im Judentum, aber keine Trennung von ihm war darin gegeben.

Von den Ubungen und Formen in der alten Gemeinde gilt ein Gleiches. Die Taufsitte, wofern sie in dieser frühen Zeit des Christentums schon ihre allgemeine Bedeutung hatte, ist etwas, was sich dem Kreis der Bräuche des Judentums einordnet. Die Sitte, in der sich das "Herrenmahl", das Abendmahl, gestaltet hat, ist, ehe sie unter dein Einfluß hellenistischer Mysterien ihren sakramentalen Charakter erhielt, etwas, was im Jüdischen seinen Platz hat und nur aus ihm heraus verstanden werden kann. Sie war zunächst nichts anderes als ein messianisches Gedenken in der Pessachhaggada; denn da diese die messianische Zuversicht auch aussprach, so war es ein Gegebenes, dass die Anhänger Jesu, die auf sein Wiederkehren hofften, ihn hier nannten, ,,des Todes des Herrn gedachten, bis dass er wiederkommt" (1 Korinther 11 26).

Auch in ihrer ganzen Einstellung zu dem sogenannten "Gesetze" steht die Gemeinde auf dem jüdischen Boden. Sie hält an der Beschneidung, an den Speise- und Reinheitavorschriften und ebenso an der Synagoge und überhaupt an dem Kultus des damaligen Judentums fest. Ja sie kehrt sich gegen die, welche sich von dem allen abwenden wollen. Ihre heilige Schrift und ihre religiöse Sprache überhaupt ist nur die des Judentums, wenn auch vielleicht "Sprüche Jesu", ähnlich wie ja im Judentum Sprüche mancher Lehrer, überliefert wurden und vielleicht auch niedergeschrieben worden sind. Ihre Predigt will eine Botschaft an die Juden sein, und die darin gegebene Mission erstreckt sich daher zunächst nur auf den Bezirk der jüdischen Gemeinden, und sie ist darin partikularistischer als manche andere Richtung im damaligen Judentum.

Alles in allem: es fand keinerlei Absonderung vom Judentum und den Juden statt, geschweige denn ein Ausscheiden aus der jüdischen Gesamtheit. Das Urchristentum steht im Judentum jener Zeit, es stellt in ihm eine, allerdings besonders bedeutungsvolle und wirksame, messianische Bewegung dar, eine tiefe Bewegung neben anderen ähnlicher Art in jenen wie in früheren und späteren Tagen. Der Widerstand, den es gefunden hat, ist darum nur ein gleicher wie der, dem vielfach diese anderen auch begegnet sind.

Der Widerspruch des Judentums setzt erst mit dem Gegensatz gegen das Judentum ein, der in der neuen und dann entscheidenden Phase des Christentums, in der paulinischen Theologie und Mission eintritt, und der sich, wie gegen das Judentum, so gegen das Urchristentum richtet. Er bewirkt sehr bald eine innere und äußere Trennung, eine immer mehr feindliche Scheidung vom Judentum und von der jüdischen Gemeinde. Und diese Loslösung ist zugleich und in gleicher Weise die von der alten christlichen Gemeinde, von dieser Gemeinde der Genossen und Jünger Jesu, soweit diese an sich und ihrer alten Art festhielt. Die Richtung und der Wille der paulinischen Lehre führten bewußt aus dem Judentum und aus dem alten Christentum heraus und zur Gegnerschaft gegen sie.

Aus dem jüdischen messianischen Glauben, wie ihn die alte christliche Gemeinde in dem Glauben an die Messianität Jesu gehegt hatte, war hier, in der paulinischen Theologie, unter dem bestimmenden Einfluß des orientalisch-hellenistischen Mysterienglaubens ein ganz anderes geworden: der Christusmythus. Auch hier steht Jesus im Mittelpunkt. Aber es ist nicht mehr der Jesus, welcher gemahnt, gelehrt, gefordert und verheißen hatte, und von welchem seine Gefährten und Schüler erzählten, dem sich hier das Denken und Hoffen zuwendet. Er ist hier ein ganz anderer, und nur der Name ist geblieben. Er ist hier der mythische Weltheiland, der von Urbeginn an gewesen, der das Prinzip der Welt ist, durch den "alles geschaffen worden". Der Glaube an ihn wird das Entscheidende, und hinter ihn tritt hier G'tt, der für Jesus alles gewesen war, fast zurück; G'ttes Bedeutung ist hier eigentlich nur, dass er diesen Heiland in die Welt gesandt hat, dass er "der Vater unseres Herrn Jesu Christi" (Römer 156 ff.) ist.

Vor der alten Religiosität des G'ttvertrauens und des Gehorsams gegen G'ttes Gebot, ja an ihrer Stelle steht somit hier das Mysterium des Weltheilands, welches alles besagt und alles gibt. Nur wer sich ihm zuwendet, ist der Gläubige und ist das Glied der Gemeinde, und nur der erwirbt es zu eigen, dem die Sakramente der Taufe und des Abendmahls zuteil werden. In ihnen wird das Mysterium wirklich und dinglich dargereicht, sie sind mehr und ein ganz anderes als ein Symbol, als ein Zeichen der Erinnerung und der Hoffnung; sie sind ein Sachliches und Wesentliches, das ergreifbare Mittel der Erlösung, der Vereinigung mit dem Heiland. Wer sich gläubig durch sie mit dem Christus verbindet, ist dadurch des Gnadenwunders teilhaft. Er wird mit dem ewigen Leben ausgestattet, von der ganzen gegenwärtigen Welt, ihrem Irdischen, Endlichen und Sündhaften befreit; er ist der Gerechtfertigte, der Erlöste. Inhalt der Religion sind nunmehr Mysterium und Sakrament, ein Glaube und ein Tun, die von dem völlig verschieden sind, was der Gemeinde Jesu ihre Frömmigkeit innerhalb des Judentums gewesen war.

So mußte der Kampf zwischen dem Judentum und dem neu gewordenen Christentum einsetzen, besonders als dieses, nachdem es in den Ländern des Mittelmeeres zu einer geltenden Kirche und zu einer Macht im römischen Reiche geworden war, auch auf dem Boden Palästinas Fuß gefasst hatte. Es war ein gegenseitiges Angreifen und Abwehren.

Der neuen Kirche waren das Judentum und das jüdische Volk, die einst erkoren und nun doch verworfen sein sollten, ein Anstoß oder wenigstens eine Verlegenheit, und diese selbe Schwierigkeit bot ihr im Grunde ihr eigener Ursprung, die alte christliche Gemeinde. Um diesen Vorwurf zu beseitigen oder abzuschwächen, hat die Kirche ihr kanonisches Schrifttum, das Neue Testament, darauf hin geformt, dass die Vergangenheit sich der siegreichen Gegenwart einfügte und unterordnete. Besonders die alten Berichte über das Leben und Lehren Jesu, die Evangelien, erhielten diese endgültige Gestalt. Auch sie wurden jetzt zu einem wesentlichen Teil Streitschriften gegen die Gemeinde des Judentums und damit vielfach, wie sich nicht verkennen lässt, auch gegen die erste christliche Gemeinde. Vor allem geht hierauf die harte Rede zurück, welche gegen die Pharisäer gehalten wird, im Widerspruch zu dem noch feststellbaren alten Bericht, wo sie neben Jesus, aber nicht gegen ihn — gegen ihn waren nur die Sadduzäer gewesen — gestanden hatten.

Aber ebenso mußte sich die jüdische Gemeinde gegen die Kirche wenden. Sie mußte ihr altes religiöses Eigentum gegenüber dem, wozu die Kirche es umgebildet hatte, als den religiösen Wahrheitsbesitz feststellen und festhalten, und sie ist damit erst zur ganzen Deutlichkeit seiner Eigenart gekommen. Jetzt, wo dort, in der Kirche, der Christus, neben den einen G'tt gestellt, G'ttheit geworden war, trat hier der ganze Sinn der Einigkeit und Einzigkeit G'ttes, der ganze Wert des strengen Monotheismus in das Bewußtsein; das Wort "der Ewige ist einzig" erhielt seinen vollen Ton. 

Wenn dort das Erlösungsmysterium seinen Platz gewonnen hatte, so wurde hier nun alles Mittlertum um so bestimmter abgewiesen. Man sprach: "Wenn ein Mensch dir sagt: »Ich bin G'tt«, so trügt er; »Ich bin der Menschensohn«, so wird er es bereuen; »ich steige zum Himmel empor«, so redet er und wird es nicht vollführen" (jer. Taanit II, 1). All das Pathos des Eigenen verkündet sich nun gegenüber dem Mittler zwischen G'tt und den Menschen. "Heil euch, ihr Israeliten, vor wem läutert ihr euch, und wer läutert euch? Nur euer Vater im Himmel!" (Joma VIII, 9). Jetzt, wo dort gelehrt wurde, wie der Erlöser in der Gestalt des Menschen gemäß dem Worte der Deutung in wundersamem Leben und Sterben erschienen sei, jetzt wurde es hier um so lebendiger betont, dass G'tt allein der Erlöser sein könne; das Wort des Propheten wurde zum täglichen Gebet:

"Unser Erlöser ist der Herr der Heerscharen, sein Name ist der Heilige Israels" (Jesaja 47.4).

Jetzt, wo die Botschaft von dem Verheißenen zur Gegenwart der Erfüllung in der Kirche umgeprägt worden war, jetzt wurde von der jüdischen Gemeinde um so bestimmter der Gedanke der messianischen Zukunft, des Weges zu den "kommenden Tagen" hervorgehoben. Dem gegenüber, dass der Glaube, dessen Inhalt das Mysterium und das Sakrament waren, das Gebot und sein Gesetz überwunden und beseitigt habe, wandte sich nun dem Gebote die ganze Liebe und Treue zu. Dem gegenüber, dass der Christos der Logos sei, dass er den Sinn des Alls erschließe, wurde nun um so stolzer dargetan, dass die Religion Israels mit ihrem gesamten Ausdruck, ihrer Tora dieser Logos sei, dass sich in ihr die Bedeutung von Welt und Leben offenbare. Die Erwählung Israels, der weitgeschichtliche Platz des Judentums wurde neu idealisiert. Im Kampfe mit der Kirche ist die jüdische Religion damals von neuem ihrer selbst ganz bewußt geworden.

Leo Baeck

Erschienen im fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren des Judentums nach den Quellen" (s. III.Bd der 1999 ersch. Faksimile-Edition der Ausgabe  des Verbandes der Deutschen Juden v. 1928/30)

V.Teil: Juden und Umwelt

I. - Abwehr fremder Anschauungen
...
3. Die Auseinandersetzung mit dem entstehenden Christentum
4. Die Pharisäer
...
...
III. - Abweichung der christlichen Religion vom Judentum in den Erscheinungsformen
1. Stellung des Einzelnen zur Glaubenslehre
a) Jüd. Anerkennung individueller Glaubensauffassung
b) Christliche Bindung durch Dogmen

Eine kurze Beschreibung der Quelle 
finden Sie hier.

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