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Talmud und Internet
Eine Geschichte von zwei Welten
p.18

»Wo, wenn nicht inmitten der Diaspora, braucht der Mensch eine Homepage?«

Jonathan Rosen

... Entsteht aus der zerstörten Gestalt des Buches das Internet? Das würde eine weitere Ähnlichkeit erklären, die für mein Empfinden zwischen Internet und Talmud besteht, denn auch der Talmud erwuchs aus der Erfahrung eines Verlustes.

Der Talmud bot einer entwurzelten Kultur eine virtuelle Heimat und entstand aus der Notwendigkeit, dass die Juden ihre Kultur in Worte packen und in die Welt hinauswandern mussten. Der Talmud gewann in dem Augenblick entscheidende Bedeutung für das Überleben des Judentums, als der Tempel, Gottes vortalmudische Wohnstätte, zerstört wurde und der Tempeldienst mit seinen Blut-, Feuer- und Sühneritualen nicht länger vollzogen werden konnte.

Als das jüdische Volk seine Heimat (das Land Israel) und Gott seine Heimstätte (den Tempel) verlor, wurde eine neue Daseinsform geschaffen; die Juden wurden aus einem Volk des Tempels oder des Landes zum Volk des Buches. Und sie wurden zum Volk des Buches, weil sie keinen anderen Daseinsort mehr besaßen. Dieser konkrete Verlust wird häufig übersehen, doch für mich liegt er - trotz seines ganzen sonstigen Reichtums - dem Talmud zugrunde und bildet seinen eigentlichen Kern. Obwohl uns das Internet, wie wir immer wieder hören, zunehmend miteinander verbindet, ruft es in mir doch ein ähnliches Gefühl von Diasporaexistenz hervor, das Empfinden, zugleich überall und nirgends zu Hause zu sein. Wo, wenn nicht inmitten der Diaspora, braucht der Mensch eine Homepage?

Der Talmud erzählt eine Geschichte, die diese geheimnisvolle Transformation von einer Art der Kultur in eine andere zu erfassen vermag. Gemeint ist die Geschichte von Jochanan ben Sakkai, dem großen Gelehrten des ersten Jahrhunderts, der im belagerten Jerusalem lebte, kurz vor dessen Zerstörung durch die Römer. Er erkannte, dass Jerusalem und der Tempel dem Untergang geweiht waren, und ersuchte deswegen die Römer um die Erlaubnis, außerhalb Jerusalems lernen und lehren zu dürfen. Seine Schüler schmuggelten ihn in einem Sarg aus dem belagerten Jerusalem heraus. Sie taten dies nicht, um so die Römer zu täuschen, sondern um den Zeloten, den jüdischen Revolutionären, zu entgehen, die die Stadt bewachten und jeden töteten, der nicht bereit war, zusammen mit der Stadt zu sterben.

Jochanan ben Sakkai aber war dazu nicht bereit. Kaum war er jenseits der Stadtmauern, suchte er den römischen Feldherren Vespasian auf und bat ihn um die Erlaubnis, sich in Jawne niederlassen zu dürfen. Man gewährte ihm dies, und Jawne wurde zu dem Ort, an dem das Studium der mündlichen Tora erblühte und die Mischnah Gestalt annahm - so wurde die talmudische Kultur gerettet, während die Kultur des Tempels unterging. In gewissem Sinne ist Jochanan ben Sakkais Reise in seinem Sarg die symbolische Inszenierung der Umwandlung, die das Judentum vollzog, als es von einer Religion des Körperlich-Materiellen zu einer Religion des Geistes und des Buches wurde. Das Volk der Juden als ein Volk des Landes und des Tempeldienstes mit Feuer und Blut ging unter und wurde - in einem der großartigsten Akte der Transformation, den die menschliche Geschichte gesehen hat - als Volk des Buches wiedergeboren.

Jochanan ben Sakkai in seinem Sarg kommt mir in den Sinn, wenn ich darüber nachdenke, wie wir - Bücher und Menschen gleichermaßen - durch die Tore des Computerzeitalters schreiten und eine neue Form einer globalen Diaspora betreten, in der wir überall sind, nur nicht daheim. Doch jedem Schreiben eignet wohl letztlich immer etwas Geisterhaftes, Unbefriedigendes, Entkörperlichtes, so dass es ungerecht wäre, den Computer oder das Internet dafür zu zeihen, dass sie das, was Worten an Enttäuschendem immer schon anhaftete, noch einmal verstärken.

  • Ben-Bag Bag und Ben-Hej Hej aktuell:
    Wende es immer von neuem, denn alles ist darin enthalten

    Talmud und Internet - Eine Geschichte von zwei Welten...
  • Ben-Bag Bag sagte:
    Drehe sie hin und drehe sie her, denn alles ist in ihr...

    Sprüche der Väter zur G'tteslehre...
  • Talmud und Internet:
    Eine Geschichte von zwei Welten

    Jonathan Rosen nimmt in seiner "Geschichte von zwei Welten" die Leser mit auf eine intellektuelle Reise, die überraschende Parallelen zwischen Talmud und Internet zutage treten lässt...

  • Eine Rezension von Ch.v. Wolzogen:
    Surfen wie im Talmud
    Wer die Gegenwart verstehen will, hat Hans-Georg Gadamer gesagt, muss Bücher lesen, die 2000 Jahre alt sind. Mindestens ebenso weit zurück muss gehen, wer den Mythos Internet begreifen will. Zurück zu Jochanan ben Sakkai, einem großen Gelehrten des ersten Jahrhunderts, der im belagerten Jerusalem lebte, kurz vor dessen Zerstörung durch die Römer...

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Jonathan Rosen

Talmud und Internet

Eine Geschichte aus zwei Welten

Aus dem Amerikanischen von Christian Wiese
(The Talmund and the Internet)
Etwa 120 Seiten. Klappenbroschur. ca. € 16,90
ISBN 3-633-54178-0 / Ersch. 2002
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Weitere Neuerscheinungen:
Ulla Berkéwicz:
Vielleicht werden wir ja verrückt
In 12 Bänden: Der Babylonische Talmud


Copyright © 2000 Jonathan Rosen
http://www.fsbassociates.com/fsg/talmud.htm


In 12 Bänden: Der Babylonische Talmud
Übersicht: Talmud
Zum Inhaltsverz.: Judentum / Jahaduth

Nachrichten: Jüdische Religion aktuell

hagalil.com 18-02-05


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